Sonntag, 15. April 2012

Leben und künstlerischer Werdegang


Ein kreatives Leben?

Im Rückblick auf ein reiches und von künstlerischer Tätigkeit geprägtes Leben erscheint es eine spannende Frage, welche Fakten und "Zufälle" den Weg kreativen Schaffens beeinflussten oder bestimmten. Denn gerade im Zusammenspiel genetischer Voraussetzungen und den Prägungen von Zeit und Umwelt entwickelt sich aus unendlich vielen Möglichkeiten jedes Lebewesen zu Einzigartigkeit und Würde - eingedenk der Erkenntnis, dass die Bedeutung des Einzelnen angesichts von Abermilliarden Individuen auch nicht besonders hoch angesetzt werden darf.

In einer Winzerfamilie kurz nach dem Kriegsende geboren, wuchs ich mitten in der Natur auf, erlebte die Jahreszeiten in Wingert, Acker und Wiesen und hatte Hühner, Hund und neugeborene Kälbchen als Spielgefährten. Deutlich spürte ich aber auch die wirtschaftliche Notlage, die Sorgen der Eltern ums Überleben, das Zusammenstehen der Verwandten und Bekannten, eine damals selbstverständliche Hilfs-bereitschaft und Geselligkeit. Der Vater, in dessen schwieligen Händen sich die Kinderhand verlor, hatte das Küferhandwerk erlernt und baute an kalten Wintertagen Bottiche, Fässer oder Leitern, wobei ich mich durch Berge von eicheduftenden Hobelspänen grub und bizarre Werke schuf. Die Mutter, als Stadtkind oft von der Schwere der Feldarbeit und der drückenden Armut überfordert, fand Halt in der christlichen Tradition und vor allem im Liedgut des 19. Jahrhunderts, das in ihrer Familie gepflegt worden war und dem ich ergriffen lauschte.

Etwa mit zehn Jahren wurden mir die gut gehüteten Malutensilien meiner verstorbenen Großtante übereignet, die zeitlebens großformatige Ölgemälde in altmeisterlichem Stil geschaffen und eine erstaunliche Meisterschaft erlangt hatte, ohne dass ihr Talent allerdings der Öffentlichkeit bekannt wurde. So malte ich nun auf den vom Vater auf Rahmen gezogenen kostbaren Leinwandresten Landschaften und Blumenstillleben, bis die Farbtuben allmählich zur Neige gingen...

In guter Erinnerung bleiben auch die endlosen Streifzüge des Heranwachsenden durch die Forster Weinbergslandschaft mit ihren verwitterten Mauern, verschlungenen Pfaden und verzweigten Heckenzügen mit dichtem Unterholz und kleinen Höhlen, vorzüglich geeignet zum Versteckspiel oder "Lager bauen". Häufig führten die Wanderungen auch in den nahen Pfälzer Wald, vorbei am Pechsteinkopf, einem erloschenen Vulkan, aus dessen Kratern schwarzblauer Basalt gefördert und in einem faszinierend altertümlichen, dröhnenden und staubumhüllten Brechwerk zu Schotter verarbeitet wurde. Kostbarkeiten aus Feld und Wald trug man glücklich heim, beispielsweise einen abgebrochenen Wildschweinhauer oder eine Geweihstange, aber auch Kristalldrusen aus der Lavaasche oder Fossilien aus dem Kalksteinriff, das die weltbekannten Forster Weinlagen durchzieht.

Das dörfliche Leben war damals durch den katholischen Glauben geprägt und strukturiert, angefangen vom Ministrantendienst vor dem Unterricht, über die obligatorische Sonntagsmesse bis zur Feier der kirchlichen Festtage, deren überladene Symbolik das kindliche Gemüt zutiefst aufwühlte. Andächtiges Erschaudern vor der Pracht göttlicher Allmacht wechselte mit diffuser Angst vor Gericht und Verdammnis. Dieser tiefen Prägung kann man sich lebenslang kaum entziehen, selbst wenn man sich als Erwachsener rational vom engen konfessionellen Denken gelöst hat.

Für das Kind vom Land bedeutete der Übertritt in ein "Humanistisches Gymnasium" das staunende Eindringen in eine neue Dimension, nicht nur wegen des ehrwürdigen historischen Gebäudes, über dessen Eingang in goldenen Lettern die Inschrift "DEO ET MUSIS SACRUM" prangte und dessen "Professoren" teils auffällige Ähnlichkeit mit der Büste des Göttervaters Zeus aufwiesen, der von der Höhe auf die Schar der Zöglinge herabblickte. Vor allem öffneten sich ständig neue Welten durch die Begegnung mit dem Gedankengut der Antike und den Werken der klassischen und modernen Literatur, aber auch der Bildenden Kunst und der Musik von Klassik und Barock, die durch das gemeinsame Musizieren im Schulorchester verinnerlicht wurde.

Den Abiturienten zog es zum Dienst am Vaterland hinaus in die Ferne des Bayerischen Waldes und der Donauniederung, wo sich schneller als erwartet Heimweh und Liebesschmerz einstellten. Die Arbeit in der Fahrzeug - Instandsetzung vermittelte Grundfertigkeiten in Metall-verarbeitung und Maschinenbau und regte zum eigenen kreativen Gestalten an. Neben vielen positiven Erfahrungen konfrontierten existenzbedrohende Ereignisse nachdrücklich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens.

So schien es folgerichtig, einen Beruf zu wählen, der es im Kontakt mit jungen Menschen ermöglichte, kreativ zu sein und sich mit den zentralen Fragen des Menschseins auseinanderzusetzen. Diese Möglichkeit eröffnete das Studium der Pädagogik in Landau mit den Schwerpunkten Theologie, Literatur, Geschichte und Kunst. Gerne erinnere ich mich beispielsweise an die Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, die Neubewertung kirchlicher Traditionen und die Fortschritte in der kritischen Bibelauslegung. Im Rahmen der Kunstdidaktik führte die eher zufällige Begegnung mit dem Werkstoff Ton zu einem Schlüsselerlebnis, entsprach doch dieser dem eigenen inneren Gestaltungsbedürfnis und dem biblischen Mythos über den aus dem Lehm des Ackers geschaffenen und in die Elemente der Erde zerfallenden Menschen.

Die Nähe des Studienortes gestattete es nach dem frühen Tod des Vaters, die eigenen Weinberge in Forst weiter zu bewirtschaften und damit die neu gegründete Familie und den Umbau der elterlichen Scheune zur Wohnung bis zum Eintritt in den Schuldienst finanziell abzusichern. Die ersten Jahre als Lehrer an der Volksschule Kirchheim ließen schon meine Vorliebe für den Klassenunterricht mit möglichst vielen Fächern in eigener Hand erkennen. Auch nach der Versetzung an die Hauptschule Deidesheim gelang es mir meist, Klassen nach diesem Prinzip zu führen und so oft wie möglich fächer-übergreifende Projekte zu verwirklichen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner 35 Dienstjahre bis zum Eintritt in die Altersteilzeit war der Werkunterricht, der Jugendliche zur kreativen und technischen Auseinandersetzung mit Werkstoffen führen wollte.

In den Siebziger Jahren hatte sich Deidesheim durch Jakob Wilhelm Hinder zu einem Zentrum der modernen Keramik entwickelt und es war begrüßenswert, dass auch die Hauptschule mit einem Brennofen ausgestattet wurde. Das keramische Arbeiten mit Schülern und die langjährige Leitung von Töpferkursen in der Erwachsenenbildung brachten zahlreiche Anregungen für das eigene Tun. Die alte Technik des Glasierens mit Asche und pulverisierten Gesteinen bzw. Erden wurde im Unterricht und in den Erwachsenenkursen aufgenommen; hunderte Proben wurden jedes Jahr gebrannt und entwickelten sich zu den Glasuren, die ich Generationen von Schülern und Erwachsenen zur Verfügung stellte und bis heute auf eigenen Arbeiten verwende.

Stand zunächst das Aufbauen und Drehen von Gefäßen im Mittelpunkt, erfolgte allmählich die Weiterentwicklung über die Gefäßplastik zur freien Gestaltung. Anfang der Achtziger Jahre verstärkte sich das Bedürfnis bildhauerisch zu arbeiten, wobei die Themen meist aus dem Unbewussten aufstiegen, dann aber rational verarbeitet und in Form gebracht wurden. Bald wurde der Grundstoff Ton auch mit Metall oder Holz kombiniert; dabei beeinflussten Materialcharakter und geistiger Hintergrund gleichermaßen die teils gegenständlichen, teils abstrahierten bzw. kombinierten Werke, wobei aktuelle Kunstströmungen wenig Einfluss genommen haben dürften. Anstöße zu wesentlichen Arbeiten kamen eher aus der gesellschaftlichen Situation, aus dem philosophisch- religiösen Hintergrund und vor allem aus dem Charakter der verarbeiteten Fundstücke wie Schwemmholz, Fachwerkbalken, verwitterte Baum- stümpfe oder Metallschrott.

In den Neunziger Jahren trat das Thema Mensch immer weiter in den Vordergrund, zunächst als klassischer, von der antiken Bildhauerei beeinflusster Torso, sich dann aber der Erscheinung und Befindlichkeit des alltäglichen, oft alternden Menschen annähernd. Gerade die Ambivalenz menschlichen Seins zeigt sich in der Gegensätzlichkeit von positiven und negativen, oft aus Gesteinsstrukturen aufbrechenden Körperformen, Fossilien ähnlich. In dem Maß, wie das Gefühl der Unzulänglichkeit und Brüchigkeit des eigenen, von Schwäche und Krankheit gehemmten Körpers zunahm, gestalteten sich die Torsi immer verletzlicher, mit zerklüfteter, rauer Oberfläche und zunehmend in den Vordergrund tretenden Brüchen und Wunden. Manchmal schweben diese aus grob schamottierter Tonmasse zusammengesetzten Torsofragmente in einem Gittergeflecht verschweißter rostiger Stahlstäbe, gefangen in ehernen Normen, aber auch gestützt und geborgen, häufig sich zu befreien suchend. Grundsätzlich dienen Torso oder Hand, oft verschmelzend mit verwitterten Holzstücken, als Metaphern für Befindlichkeiten mensch-lichen Seins.

Dass angesichts der Tiefe und Ernsthaftigkeit der Thematik sich die Arbeiten nicht expressiver oder provozierender entwickelten, hängt vordergründig damit zusammen, dass mir langsames, genaues und feinstrukturiertes Gestalten mehr liegt als spontanes und grobes Vorgehen. Doch letztlich fühle ich mich dem klassischen Prinzip der Entsprechung von Form und Inhalt verpflichtet. Auch heute erscheint mir das antike Ideal der "Kalo-k-agathia", der Verbindung von Schönheit und moralischem Anspruch, nacheifernswert.

Mit großer Dankbarkeit darf ich auf das mir "zugefallene" Werk zurück-blicken, das zwar aufgrund beruflicher und anderer Verpflichtungen, aber auch wegen häufiger gesundheitlicher Probleme nicht umfangreicher ist, dennoch gerade auch in Verbindung mit den im Lauf der Jahre parallel entstandenen Texten schlüssig erscheint. Gerade für den, der immer alles in Frage stellt, die Welt, das Leben, die Kunst, dürfte diese Rückbesinnung in Bescheidenheit sinnvoll, sogar notwendig sein. Besonderer Dank gebührt allen, die mir das kreative Arbeiten ermöglichten, mich auf viele regionale und internationale Ausstellungen einluden und mich durch ihr Interesse und die Wertschätzung meines Werks zum Weitermachen anregten.




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