Ein
kreatives Leben?
Im
Rückblick auf ein reiches und von künstlerischer Tätigkeit
geprägtes Leben erscheint es eine spannende Frage, welche Fakten und
"Zufälle" den Weg kreativen Schaffens beeinflussten oder
bestimmten. Denn gerade im Zusammenspiel genetischer Voraussetzungen
und den Prägungen von Zeit und Umwelt entwickelt sich aus unendlich
vielen Möglichkeiten jedes Lebewesen zu Einzigartigkeit und Würde -
eingedenk der Erkenntnis, dass die Bedeutung des Einzelnen angesichts
von Abermilliarden Individuen auch nicht besonders hoch angesetzt
werden darf.
In
einer Winzerfamilie kurz nach dem Kriegsende geboren, wuchs ich
mitten in der Natur auf, erlebte die Jahreszeiten in Wingert, Acker
und Wiesen und hatte Hühner, Hund und neugeborene Kälbchen als
Spielgefährten. Deutlich spürte ich aber auch die wirtschaftliche
Notlage, die Sorgen der Eltern ums Überleben, das Zusammenstehen
der Verwandten und Bekannten, eine damals selbstverständliche
Hilfs-bereitschaft und Geselligkeit. Der Vater, in dessen schwieligen
Händen sich die Kinderhand verlor, hatte das Küferhandwerk erlernt
und baute an kalten Wintertagen Bottiche, Fässer oder Leitern, wobei
ich mich durch Berge von eicheduftenden Hobelspänen grub und bizarre
Werke schuf. Die Mutter, als Stadtkind oft von der Schwere der
Feldarbeit und der drückenden Armut überfordert, fand Halt in der
christlichen Tradition und vor allem im Liedgut des 19. Jahrhunderts,
das in ihrer Familie gepflegt worden war und dem ich ergriffen
lauschte.
Etwa
mit zehn Jahren wurden mir die gut gehüteten Malutensilien meiner
verstorbenen Großtante übereignet, die zeitlebens großformatige
Ölgemälde in altmeisterlichem Stil geschaffen und eine erstaunliche
Meisterschaft erlangt hatte, ohne dass ihr Talent allerdings der
Öffentlichkeit bekannt wurde. So malte ich nun auf den vom Vater auf
Rahmen gezogenen kostbaren Leinwandresten Landschaften und
Blumenstillleben, bis die Farbtuben allmählich zur Neige gingen...
In
guter Erinnerung bleiben auch die endlosen Streifzüge des
Heranwachsenden durch die Forster Weinbergslandschaft mit ihren
verwitterten Mauern, verschlungenen Pfaden und verzweigten
Heckenzügen mit dichtem Unterholz und kleinen Höhlen, vorzüglich
geeignet zum Versteckspiel oder "Lager bauen". Häufig
führten die Wanderungen auch in den nahen Pfälzer Wald, vorbei am
Pechsteinkopf, einem erloschenen Vulkan, aus dessen Kratern
schwarzblauer Basalt gefördert und in einem faszinierend
altertümlichen, dröhnenden und staubumhüllten Brechwerk zu
Schotter verarbeitet wurde. Kostbarkeiten aus Feld und Wald trug man
glücklich heim, beispielsweise einen abgebrochenen Wildschweinhauer
oder eine Geweihstange, aber auch Kristalldrusen aus der Lavaasche
oder Fossilien aus dem Kalksteinriff, das die weltbekannten Forster
Weinlagen durchzieht.
Das
dörfliche Leben war damals durch den katholischen Glauben geprägt
und strukturiert, angefangen vom Ministrantendienst vor dem
Unterricht, über die obligatorische Sonntagsmesse bis zur Feier der
kirchlichen Festtage, deren überladene Symbolik das kindliche Gemüt
zutiefst aufwühlte. Andächtiges Erschaudern vor der Pracht
göttlicher Allmacht wechselte mit diffuser Angst vor Gericht und
Verdammnis. Dieser tiefen Prägung kann man sich lebenslang kaum
entziehen, selbst wenn man sich als Erwachsener rational vom engen
konfessionellen Denken gelöst hat.
Für
das Kind vom Land bedeutete der Übertritt in ein "Humanistisches
Gymnasium" das staunende Eindringen in eine neue Dimension,
nicht nur wegen des ehrwürdigen historischen Gebäudes, über
dessen Eingang in goldenen Lettern die Inschrift "DEO ET MUSIS
SACRUM" prangte und dessen "Professoren" teils
auffällige Ähnlichkeit mit der Büste des Göttervaters Zeus
aufwiesen, der von der Höhe auf die Schar der Zöglinge
herabblickte. Vor allem öffneten sich ständig neue Welten durch die
Begegnung mit dem Gedankengut der Antike und den Werken der
klassischen und modernen Literatur, aber auch der Bildenden Kunst und
der Musik von Klassik und Barock, die durch das gemeinsame Musizieren
im Schulorchester verinnerlicht wurde.
Den
Abiturienten zog es zum Dienst am Vaterland hinaus in die Ferne des
Bayerischen Waldes und der Donauniederung, wo sich schneller als
erwartet Heimweh und Liebesschmerz einstellten. Die Arbeit in der
Fahrzeug - Instandsetzung vermittelte Grundfertigkeiten in
Metall-verarbeitung und Maschinenbau und regte zum eigenen kreativen
Gestalten an. Neben vielen positiven Erfahrungen konfrontierten
existenzbedrohende Ereignisse nachdrücklich mit der Frage nach dem
Sinn des Lebens.
So
schien es folgerichtig, einen Beruf zu wählen, der es im Kontakt mit
jungen Menschen ermöglichte, kreativ zu sein und sich mit den
zentralen Fragen des Menschseins auseinanderzusetzen. Diese
Möglichkeit eröffnete das Studium der Pädagogik in Landau mit den
Schwerpunkten Theologie, Literatur, Geschichte und Kunst. Gerne
erinnere ich mich beispielsweise an die Aufbruchstimmung nach dem
Zweiten Vatikanischen Konzil, die Neubewertung kirchlicher
Traditionen und die Fortschritte in der kritischen Bibelauslegung. Im
Rahmen der Kunstdidaktik führte die eher zufällige Begegnung mit
dem Werkstoff Ton zu einem Schlüsselerlebnis, entsprach doch dieser
dem eigenen inneren Gestaltungsbedürfnis und dem biblischen Mythos
über den aus dem Lehm des Ackers geschaffenen und in die Elemente
der Erde zerfallenden Menschen.
Die
Nähe des Studienortes gestattete es nach dem frühen Tod des Vaters,
die eigenen Weinberge in Forst weiter zu bewirtschaften und damit die
neu gegründete Familie und den Umbau der elterlichen Scheune zur
Wohnung bis zum Eintritt in den Schuldienst finanziell abzusichern.
Die ersten Jahre als Lehrer an der Volksschule Kirchheim ließen
schon meine Vorliebe für den Klassenunterricht mit möglichst vielen
Fächern in eigener Hand erkennen. Auch nach der Versetzung an die
Hauptschule Deidesheim gelang es mir meist, Klassen nach diesem
Prinzip zu führen und so oft wie möglich fächer-übergreifende
Projekte zu verwirklichen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner 35
Dienstjahre bis zum Eintritt in die Altersteilzeit war der
Werkunterricht, der Jugendliche zur kreativen und technischen
Auseinandersetzung mit Werkstoffen führen wollte.
In
den Siebziger Jahren hatte sich Deidesheim durch Jakob Wilhelm Hinder
zu einem Zentrum der modernen Keramik entwickelt und es war
begrüßenswert, dass auch die Hauptschule mit einem Brennofen
ausgestattet wurde. Das keramische Arbeiten mit Schülern und die
langjährige Leitung von Töpferkursen in der Erwachsenenbildung
brachten zahlreiche Anregungen für das eigene Tun. Die alte Technik
des Glasierens mit Asche und pulverisierten Gesteinen bzw. Erden
wurde im Unterricht und in den Erwachsenenkursen aufgenommen;
hunderte Proben wurden jedes Jahr gebrannt und entwickelten sich zu
den Glasuren, die ich Generationen von Schülern und Erwachsenen zur
Verfügung stellte und bis heute auf eigenen Arbeiten verwende.
Stand
zunächst das Aufbauen und Drehen von Gefäßen im Mittelpunkt,
erfolgte allmählich die Weiterentwicklung über die Gefäßplastik
zur freien Gestaltung. Anfang der Achtziger Jahre verstärkte sich
das Bedürfnis bildhauerisch zu arbeiten, wobei die Themen meist aus
dem Unbewussten aufstiegen, dann aber rational verarbeitet und in
Form gebracht wurden. Bald wurde der Grundstoff Ton auch mit Metall
oder Holz kombiniert; dabei beeinflussten Materialcharakter und
geistiger Hintergrund gleichermaßen die teils gegenständlichen,
teils abstrahierten bzw. kombinierten Werke, wobei aktuelle
Kunstströmungen wenig Einfluss genommen haben dürften. Anstöße zu
wesentlichen Arbeiten kamen eher aus der gesellschaftlichen
Situation, aus dem philosophisch- religiösen Hintergrund und vor
allem aus dem Charakter der verarbeiteten Fundstücke wie
Schwemmholz, Fachwerkbalken, verwitterte Baum- stümpfe oder
Metallschrott.
In
den Neunziger Jahren trat das Thema Mensch immer weiter in den
Vordergrund, zunächst als klassischer, von der antiken Bildhauerei
beeinflusster Torso, sich dann aber der Erscheinung und
Befindlichkeit des alltäglichen, oft alternden Menschen annähernd.
Gerade die Ambivalenz menschlichen Seins zeigt sich in der
Gegensätzlichkeit von positiven und negativen, oft aus
Gesteinsstrukturen aufbrechenden Körperformen, Fossilien ähnlich.
In dem Maß, wie das Gefühl der Unzulänglichkeit und Brüchigkeit
des eigenen, von Schwäche und Krankheit gehemmten Körpers zunahm,
gestalteten sich die Torsi immer verletzlicher, mit zerklüfteter,
rauer Oberfläche und zunehmend in den Vordergrund tretenden Brüchen
und Wunden. Manchmal schweben diese aus grob schamottierter Tonmasse
zusammengesetzten Torsofragmente in einem Gittergeflecht
verschweißter rostiger Stahlstäbe, gefangen in ehernen Normen, aber
auch gestützt und geborgen, häufig sich zu befreien suchend.
Grundsätzlich dienen Torso oder Hand, oft verschmelzend mit
verwitterten Holzstücken, als Metaphern für Befindlichkeiten
mensch-lichen Seins.
Dass
angesichts der Tiefe und Ernsthaftigkeit der Thematik sich die
Arbeiten nicht expressiver oder provozierender entwickelten, hängt
vordergründig damit zusammen, dass mir langsames, genaues und
feinstrukturiertes Gestalten mehr liegt als spontanes und grobes
Vorgehen. Doch letztlich fühle ich mich dem klassischen Prinzip der
Entsprechung von Form und Inhalt verpflichtet. Auch heute erscheint
mir das antike Ideal der "Kalo-k-agathia", der Verbindung
von Schönheit und moralischem Anspruch, nacheifernswert.
Mit
großer Dankbarkeit darf ich auf das mir "zugefallene" Werk
zurück-blicken, das zwar aufgrund beruflicher und anderer
Verpflichtungen, aber auch wegen häufiger gesundheitlicher Probleme
nicht umfangreicher ist, dennoch gerade auch in Verbindung mit den im
Lauf der Jahre parallel entstandenen Texten schlüssig erscheint.
Gerade für den, der immer alles in Frage stellt, die Welt, das
Leben, die Kunst, dürfte diese Rückbesinnung in Bescheidenheit
sinnvoll, sogar notwendig sein. Besonderer Dank gebührt allen, die
mir das kreative Arbeiten ermöglichten, mich auf viele regionale und
internationale Ausstellungen einluden und mich durch ihr Interesse
und die Wertschätzung meines Werks zum Weitermachen anregten.